Fensterblick Düsseldorf
„Ausgehend von den Geoportalen ist das Ziel von unserem Modellprojekt „Digitale Karten Barrierefrei“, dass auch inklusive Karten bereitgestellt werden. Diese könnten etwa Informationen zu Bodenbeschaffenheiten und Steigungen für eingeschränkte Mobilität zeigen. Weitere Beispiele sind die Standorte barrierefreier Toiletten und städtischen Einrichtungen. Auch inklusive Freizeitangebote sind willkommene Infos. (…) Grundlegend ist beim Modellprojekt, dass die Städte die digitalen Karten erzeugen und unterhalten.“
von Gero Büskens / Interview / KSL hinterfragt
Wibke Roth: Wie kamst du dazu, digitale Barrierefreiheit als einen Schwerpunkt deiner Arbeit zu wählen?
Gero Büskens: Die Grundlage liegt in meinem Studium der Ethnologie. Ethnologie ist eine kultur- und sozialwissenschaftliche Disziplin, die Gesellschaften und Lebensweisen erforscht. Als Beispiele werden Wirtschafts-formen und die soziale Organisation untersucht. In der Vergangenheit blickte die Ethnologie dabei oft auf indigene Völker. Heute untersuchen Forscher*innen auch globale Veränderungen und Zusammenhänge.
Dabei ist die Digitalisierung insgesamt nicht mehr weg zu denken. Sie beeinflusst grundsätzlich, wie wir miteinander interagieren, uns informieren oder mit Lebensmitteln versorgen. Die sehr schnelle technische Entwicklung wird auch von kulturellen Veränderungen begleitet. So war es lange Zeit normal, sich physisch vor Ort zu treffen und per Handschlag zu begrüßen. Nach nur wenigen Jahren sind mittlerweile digitale Konferenzen keine Besonderheit mehr. Dieser Wechsel verändert dann unter anderem die Begrüßungskultur. So ist es als Kern der Digitalisierung zu sehen, dass sie immer auch bei Themen, wie Kommunikation, Arbeit, Freizeit etc. ansetzt und diese mitgestaltet. Auf dieser Basis ist die digitale Teilhabe automatisch ein wichtiger Teil der Barrierefreiheit.
Die Aktualität und der Umfang von digitalen Möglichkeiten und Veränder-ungen haben mich stets interessiert. Deshalb habe ich einen Studien-Schwerpunkt auf digitale Ethnologie gelegt. Jetzt freut es mich sehr, dass ich beim KSL.Düsseldorf mit Digitalisierung und Inklusion zwei wichtige gesamtgesellschaftliche Themen kombinieren kann.
Wibke Roth: Wie würdest du digitale Barrierefreiheit erklären und kannst du dazu ein paar Beispiele geben?
Gero Büskens: Das Ziel der digitalen Barrierefreiheit ist, dass alle Menschen an digitalen Möglichkeiten teilnehmen können. So wie beispielsweise eine Rampe die Barriere einer Treppe abbaut, machen bestimmte Anpassungen einen digitalen Inhalt auch bei Einschränkungen nutzbar. Typische Beispiele sind Vorlesefunktionen bei Schrift für blinde Personen und die Option, für gehörlose Menschen eine Gebärdensprache im Video zuzuschalten. Weitere Elemente sind etwa die Einstellbarkeit von Größe und Farbe der Schrift sowie Beschreibungen zu Bildern und Zoomfunktionen.
Insgesamt werden somit Optionen geboten, um Sinne für die Erfassung von Informationen zu ersetzen oder zu unterstützen. Damit ist die digitale Barrierefreiheit etwa auch eine Umsetzung des Zwei-Sinne-Prinzips. Dieses ist aus der Gestaltung diverser Informationsprozesse und Infrastrukturen bereits bekannt. Zum Beispiel sind Bodenleitsysteme an Bahnhöfen bereits etabliert.
Im digitalen Zeitalter darf sich dieses Prinzip aber nicht nur auf den physischen Raum beschränken. Viele digitale Dokumente sind wichtige Bestandteile des selbstbestimmten Lebens oder Pflichtangaben. An diesen Stellen muss die Barrierefreiheit mitziehen, um Chancengleichheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiterhin zu fördern.
Außerdem bieten digitale Ansätze besondere Möglichkeiten, um Zugänge zu erleichtern oder überhaupt zu gewährleisten. Hier drei Beispiele:
- Die Verlagerung eines Treffens vor Ort hin zu einer digitalen Konferenz mit Video sorgt etwa für die Überwindung anreisebedingter Barrieren.
- Die Endgeräte selbst sorgen für leichtere Zugänglichkeit. Sie bieten grundsätzlich Unterstützungen wie die Einstellbarkeit von Lautstärke, Zoomfunktionen und Aufzeichnungen.
- Durch die Zuschaltung von Funktionen wird die Interaktion auch bei unterschiedlichen Ausgangssituationen individuell anpassbar. Dieser Faktor fördert die Teilhabe deutlich.
Und dennoch: Gewisse Einschränkungen bringen die digitalen Möglichkeiten immer auch mit. Hierzu ebenfalls drei Beispiele:
- Die Technik selbst muss passende Funktionen unterstützen. Gerade ältere Geräte haben zum Beispiel einen anderen Stand und bieten oft nicht mehr alle aktuellen Möglichkeiten.
- Neben der Ausstattung bedarf es immer auch den Fähigkeiten zur Bedienung. Diese müssen sich Personen aneignen.
- Insgesamt entwickelt sich das Themenfeld immer weiter. Neue Funktionen brauchen Bekanntheit und müssen Personen überhaupt erreichen.
Wibke Roth: Kannst du uns einmal deine aktuelle Arbeit zu digitaler Barrierefreiheit vorstellen? Gibt es da zum Beispiel einen Schwerpunkt?
Gero Büskens: Aktuell arbeite ich an dem Modellprojekt: „Digitale Karten Barrierefrei“. Mit diesem setzen sich die KSL dafür ein, dass digitale Karten zu Barrierefreiheit freizugänglich angeboten werden. Als Ziel sollen Städte und Kommunen interaktive Karten selbstständig veröffentlichen, dauerhaft pflegen und partizipativ ausbauen. Wir arbeiten darauf hin, dass dabei transparente Informationen für diverse Ausgangssituationen verfügbar werden. Ich fange aber gerne einmal vorne an: Beim KSL.Düsseldorf besprachen wir, wie man sich im Internet zu barrierefreien Angeboten und Strukturen zurechtfindet. Uns fiel auf, dass Internetseiten mit entsprechenden Stadtkarten oft abgetrennte Angebote sind und Communities sie selbst pflegen.
An dieser Stelle wollten wir anders ansetzen. Bereits bekannt war, dass einige Städte eigene Geoportale bereitstellen. Auf diesen Internetseiten können sich Bürger*innen unterschiedliche digitale Karten zu diversen Schwerpunkten kostenlos ansehen. Als Beispiele zeigen die Städte ihre Grundstücksgrenzen, Baustellen und Bildungsangebote. Die Bedienung ist dabei modern und eher im Stil von Google Maps.
Ausgehend von den Geoportalen ist das Ziel von unserem Modellprojekt „Digitale Karten Barrierefrei“, dass auch inklusive Karten bereitgestellt werden. Diese könnten etwa Informationen zu Bodenbeschaffenheiten und Steigungen für eingeschränkte Mobilität zeigen. Weitere Beispiele sind die Standorte barrierefreier Toiletten und städtischen Einrichtungen. Auch inklusive Freizeitangebote sind willkommene Infos. Das Feld ist hier wirklich weit und wir beraten gerne zu möglichen Inhalten und ihrem Mehrwert.
Wibke Roth: Es gibt ja auch andere Anbieter digitaler Karten, wie zum Beispiel Wheelmap.org. Warum ist es wichtig, dass es dennoch – und zusätzlich – kommunale Angebote gibt?
Gero Büskens: Genau. Karten mit vergleichbaren Schwerpunkten werden bereits angeboten. Grundlegend ist beim Modellprojekt, dass die Städte die digitalen Karten erzeugen und unterhalten. Dies hat diverse Vorteile:
- Zuerst entspricht es der Inklusion, dass die Karten normale Angebote auf Geoportalen werden. Damit stehen sie auf keiner gesonderten Internetseite. Dies vereinfacht zudem den Zugriff und Unterhalt.
- Wir möchten Inklusivität als Teil der transparenten Selbstdarstellung von Städten etablieren. Dies verankert Barrierefreiheit und inklusive Stadtplanung insgesamt weiter. Auch werden die Karten so ohne Abhängigkeit von Konzernen bzw. datenschutzkonform geboten.
- Durch ihre Geoportale bleibt die Fähigkeit zur Anpassung der Inhalte bei den Städten. Sie können diverse Ausgangssituationen bedenken, statt den Fokus z.B. nur auf Menschen mit Rollstuhl zu legen.
- Den Städten sind viele der möglichen Informationen bereits bekannt. Sie haben etwa ihre barrierefreien Toiletten oder Parkplätze selbst erfasst. Deshalb ist der Aufwand oft überschaubarer als vielleicht angenommen. Auch veröffentlichen einige Städte zum Beispiel bereits Karten zu Behindertenparkplätzen. Dann gilt es, das Prinzip weiter auszubauen.
- Bei dem Modellprojekt ist uns wichtig, dass die Inhalte nicht zufällig entstehen. In diesem Zusammenhang arbeiten wir etwa mit dem Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Ratingen zusammen. So gestalten praktische Erfahrungswerte partizipativ die digitalen Inhalte und die Städte erhalten Beratung aus erster Hand. Die Karten entstehen also auch grundsätzlich in inklusiver Zusammenarbeit.
- Wie bei Barrierefreiheit allgemein besteht ein Mehrwert für alle Menschen. Beispielsweise könnte auf einer Karte zu Bodenbeschaffen-heiten nachgeschaut werden, ob der Transport von Waren per Fahrrad funktioniert. Denkt man nur ein Bisschen „Out of the Box“ eröffnen sich viele Informationen rund um Mobilität, Freizeit und Wohnen. Die Städte veröffentlicht einen modernen Mehrwert für alle Menschen.
Wibke Roth: Wie sind die ersten Reaktionen?
Gero Büskens: Im Rahmen der bisherigen Vorstellungen des Modellprojekts wurde dieses sehr positiv aufgenommen. Bei einer Sitzung des Beirates für Menschen mit Behinderung im Ratssaal in Ratingen wurde das Projekt einstimmig angenommen. Dazu wurde der Stadtverwaltung eine Empfehlung zur Unterstützung gegeben. Diese hat die Empfehlung positiv aufgenom-men und die Politik wird das weitere Vorgehen begleiten. Des Weiteren haben wir eine Kooperation mit dem Landesbehindertenrat NRW e.V. geschlossen.
In Zukunft wird auch beachtet, dass die Bedienung der Karten selbst barrierefreie Möglichkeiten bieten soll. Das wären dann die Optionen aus der zu Anfang beschriebenen digitalen Barrierefreiheit, also beispielsweise Einstellbarkeit bei Schrift und Größe der Karten sowie eine Vorlesefunktion.
Aktuell entstehen die ersten Testkarten und Prototypen in Zusammenarbeit mit der Stadt Ratingen. Wir freuen uns über das Interesse an dem Modellprojekt „Digitale Karten Barrierefrei“ und sind für Fragen immer offen.
Wibke Roth: Vielen Dank fürs Interview, Gero.
Gero Büskens: Gern.
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Oktober 2024