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Eine Prognose, wie wir das Gesundheitssystem inklusiver gestalten können

Markus May von der Ko-KSL auf bunten Kacheln im Fensterblick NRW

Fensterblick NRW

„Mit dem KSL-Praxishandbuch ‚Vielfalt Pflegen‘ wollen wir Pflegenden Wissen an die Hand geben, mit dem sie das Gesundheitssystem inklusiv gestalten können. Seit einem guten Jahr sind wir nun dabei, es bekannt zu machen. Es ist eine Aufgabe, die Geduld, Fleiß und Überzeugungskraft benötigt. In diesem Jahr werden wir weitere Veranstaltungen anbieten. Ganz besonders suchen wir Fortbildungsinstitute, die eine Fortbildung auf Basis unseres Buches anbieten und Pflegeschulen, die es im Unterricht anwenden."

von Markus May / Prognose / KSL entwickelt


In der Theorie ist es einfach. Hier steht das Recht. Dort muss es umgesetzt werden. Fertig. Aber: Was, wenn niemand mitbekommen hat, dass Veränderungen gefragt sind?

So steht es in vielen Bereichen mit der Umsetzung der UN-BRK, wie Beispielsweise im Gesundheitssystem.

  • Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf ein Höchstmaß an Gesundheit, wie Menschen ohne Behinderungen auch.

Die Gesundheitsversorgung ermöglicht dies auch heute nicht. Menschen mit Behinderungen stoßen häufig auf Barrieren in Arztpraxen, Krankenhäuser und auch in Apotheken. Dabei sind nicht nur bauliche Barrieren, sondern auch kommunikative Barrieren und Vorurteile.

Wenn beispielsweise eine Person mit anderen Lernmöglichkeiten in die Notaufnahmen kommt, kann es schnell schwierig werden. Verhalten sich Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten bei der Aufnahme ungewöhnlich, kann dies die Behandelnden sehr verunsichern, da es schwierig ist, dieses Verhalten zu deuten. Die Interpretation, was das ungewohnte Verhalten aufgrund von Angst und Schmerzen für die Diagnose bedeutet, ist schwierig. Das Verhalten darf jedoch nicht pauschal als unkooperatives Verhalten interpretiert werden, sondern sollte vielmehr als Symptom der Erkrankung, verbunden mit einer Reaktion auf die ungewohnte Umgebung bewertet werden. Gezielte Fortbildungen können hier sehr hilfreich sein, denn wird ein Verhalten aufgrund von Symptomen falsch interpretiert, kann dies im Zweifel zu einer fehlerhaften Diagnose führen oder zu einer fehlerhaften Dosierung von Medikamenten.

Nur: Was tut man, damit sich etwas ändert. Demonstrieren? Sich beschweren? Wo eigentlich?

Was ist also der Ansatz, der dazu führt, dass das Gesundheitssystem inklusiver wird?  

Wir haben uns Gedanken gemacht: Die Suche nach dem Schlüssel, um etwas zu bewegen

Wie bringen wir Menschen dazu ihr Verhalten zu ändern, Wissen anzusammeln und notwendige Veränderungen motiviert umzusetzen?

Wir haben uns gefragt: Welche Gruppe hat den größten Einfluss, den direktesten Einfluss auf die Inklusion im Gesundheitssystem? In welchen Bereich wird eine Veränderung für die Menschen mit Behinderungen schnell spürbar? Gibt es eine gute Gelegenheit?

Es existieren viele wichtige Gruppe: die Ärztinnen und Ärzte, die Krankenkassen oder auch die Politik. Doch sind dies die Personenkreise, die den direktesten Einfluss auf Inklusion im Gesundheitssystem haben?

Nach langen Diskussionen kam die Eingebung: Pflegende sind der Schlüssel zu einem inklusiven Gesundheitssystem.

Dies hat mehrere Gründe. Sie sind diejenigen, die nah dran sind. Es sind die ersten Kontaktpersonen, die rund um die Uhr für die Menschen sorgen. Sie haben einen sehr großen Einfluss darauf, ob und wie die Versorgung läuft! Sie sind die größte Gruppe der Beschäftigten im Gesundheitsbereich.  

Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade 2020 die Ausbildung der Pflege neu strukturiert wurde und sich so eine gute Gelegenheit für Veränderung in der Ausbildung auftat. Auch, weil die UN-BRK nun Teil der Ausbildung ist. 

Wissen ist Macht für Veränderung: Die Übergabe des Schlüssels

Was braucht es nun für die Veränderung?

Was brauchen Pflegende, damit sie von uns unterstützt werden inklusiv zu handeln? Wir wollen sie nicht extra belasten! Wir wollen Pflegenden die Arbeit erleichtern.

Unsere Lösung: Wissen und Sensibilisierung – Das Praxishandbuch #Vielfalt Pflegen

In dem Handbuch kommen in jedem Kapitel in einem Interview, das auch als Video angesehen werden kann, Menschen mit Behinderungen selbst zu Wort. Auf diese Weise werden die Bedürfnisse erfahrbar, man kann sich einfühlen.

Im zweiten Teil der Kapitel haben wir das notwendige Wissen, das man braucht, damit Kommunikation und Interaktion, also das Zusammenspiel bzw. aufeinander bezogenes Handeln mit Menschen mit Behinderungen gelingen kann, zusammengetragen.

So weiß man beispielsweise nach der Lektüre Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten besser zu verstehen und weiß, wie kann ich mit gehörlosen Menschen kommunizieren.

Wir setzen auf Authentizität, Professionalität und das Netzwerk

Das Wissen musste irgendwo herkommen. Am besten von den Menschen mit Behinderungen selbst.

Wir haben uns in einem ersten Schritt unsere eigenen Kompetenzen angeschaut. Wer aus unserem Kolleg*innenkreis kann aufgrund seiner eigenen Behinderung oder der des eigenen Kindes das spezielle Wissen einbringen.

Auf diese Weise konnten wir eine absolute Praxistauglichkeit und eine hohe Authentizität garantieren.

Damit das Wissen dann aber auch für die Pflegenden richtig verpackt ist und in den Lehrplan einer Pflegeschule passt, haben wir uns im zweiten Schritt an eine Pflegeschule gewandt, einen Experten für inklusive Medizin befragt und Lehrende der Hochschulen und Organisationen der Behindertenselbsthilfe hinzugezogen. Als Co-Autor*innen hat uns die Agentur Barrierefrei tatkräftig unterstützt.

Am Ende entstand ein Expert*innen-Netzwerk aus über 50 Personen, die alle einen wesentlichen Beitrag für das Praxishandbuch geleistet haben.

Wo stehen wir?

Das Praxishandbuch selbst verändert das Gesundheitssystem nicht von selbst. Es muss auch gelesen – und das Wissen natürlich angewendet werden.

Seit einem guten Jahr sind wir nun dabei, das Praxishandbuch bekannt zu machen. Es ist eine Aufgabe, die Geduld, Fleiß und Überzeugungskraft benötigt.

  • Wir haben rund 350 Pflegeschulen in Nordrhein-Westfalen ein Praxishandbuch zukommen lassen. Ein Fünftel haben bereits Interesse bekundet und weitere Exemplare bestellt. Dies ist auch mit Blick auf die Corona-Pandemie ein guter Erfolg.
  • Wir haben rund 500 Krankenhäusern in NRW ein Praxishandbuch zukommen lassen. Hier interessieren sich mehrere Kliniken für den Einsatz des Handbuchs. Der Zugang ist hier jedoch deutlich schwerer.
  • Wir haben vielen Professor*innen aus dem Bildungsbereich der Gesundheitsberufe ein Praxishandbuch zukommen lassen und werden Ihnen in diesem Jahr eine Dialogveranstaltung anbieten.
  • Wir haben bereits über zwanzig Veranstaltungen in verschiedenen Formaten zum Praxishandbuch bestritten.

Alle, die unser Buch sehen geben uns ein positives Feedback. Das freut uns sehr.

Wie geht es weiter?

In diesem Jahr werden wir weitere Veranstaltungen anbieten. Ganz besonders suchen wir Fortbildungsinstitute, die eine Fortbildung auf Basis unseres Buches anbieten. Wir suchen Pflegeschulen, die unser Handbuch im Unterricht anwenden.

Mein Resümee:

Veränderung braucht Zeit. Ob wir nun einen Wandel  angestoßen haben? Das können wir noch nicht sagen. Und wenn es so weit ist, können wir den Erfolg der Veränderung dann uns zuschreiben? Wir werden es wohl nicht erfahren.

Aber wir haben nun schon über 5.000 Bücher an interessierte Personen versendet. Und jede und jeder, die es liest, insbesondere diejenigen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, werden dann sicher mit der richtigen Haltung und dem richtigen Wissen vor den Menschen mit Behinderung stehen. Ich glaube fest daran, dass sie das Gesundheitssystem ein Stück inklusiver gestalten werden.

Weitere Informationen

Als Vorbereitung auf die Kampagne #Inklusive Gesundheit haben wir Interviews mit Menschen mit Behinderungen geführt. Diese berichten, auf welche Barrieren Sie im Gesundheitssystem gestoßen sind und was für sie zu einem inklusiven Gesundheitssystem gehört, haben wir für Sie sowohl im Film als auch schriftlich im Buch festgehalten. Zu den Interviews: https://www.ksl-nrw.de/de/inklusive-gesundheit

 


April 2022