Interview: Freizeitassistenz (2) | KSL.NRW Direkt zum Inhalt
Karten der Kampagne Persönliche Assistenz und ein Bild von zwei Frauen vor der Haustür. Eine Frau hält einen Bilndenstock in der Hand

Mönchengladbach

Das Interview wurde im Juli 2024 im Warteraum einer physiotherapeutischen Praxis und auf dem Rückweg geführt. 

Fragen an eine Freizeitassistentin

Allgemeine Angaben

Vorname: Pia
Nachname: Ziemes
Geburtsjahr: 13. Juni 1967

Ausbildung/Studium: Hotelffachfrau, Weiterbildung zur Bürokraft, arbeitet seit einem Jahr mit einer halben Stelle als Freizeitassistentin in einer Einrichtung für betreutes Wohnen.
Gehalt: Angegliedert an den VKA des TVöd, E2. Der Stundensatz liegt über dem Mindestlohn.

Bisherige(r) Beruf(e)/Tätigkeiten: Bürokraft

 

Das Interview

Welche Behinderung hat Ihre Assistenznehmerin?
Sie ist von Geburt an blind.

Wenn Sie jemandem Ihren Beruf in einem Satz erklären müssten: Wie würde der lauten?
Wie das Wort schon sagt: Es handelt sich um Freizeit. Ich habe Freizeit zum Beruf gemacht. In meinem Fall begleite ich meine blinde Klientin zum Beispiel auf Konzerte oder ins Kino, aber auch auf dem Fußweg zu ihrer Physiotherapeutin.

Warum üben Sie diesen Beruf aus?
In meinem alten Job als Bürokraft habe ich immer dasselbe gemacht und ich fühlte mich ausgenutzt und gestresst. Vom ersten Tag als Freizeitassistentin komme ich mit guter Laune nach Hause, denn die meiste Zeit wird gelacht. Im Prinzip habe ich mit dem Quereinstieg Freude und Lebensqualität zum Beruf gemacht. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und ich habe keine Lust mehr, nur arbeiten zu gehen, um die Miete zu bezahlen. Am Ende des Tages kann ich mir jetzt eine Antwort auf die Frage geben: Habe ich etwas durch meine Arbeit bewirkt?

Würden Sie diesen Beruf einem anderen Menschen empfehlen? Und wenn ja: Warum?
Ja, ich würde den Assistenz-Beruf weiterempfehlen, denn auch wenn die Tätigkeit als Freizeitassistentin keine schwere ist, so ist sie doch eine verantwortungsvolle und erfüllende.

Sie arbeiten als Freizeit-Assistent*in: Warum dieser Einsatzbereich?
Ich habe Freizeit zum Beruf gemacht. Wer, bitte, mag Freizeit nicht?

Mischt sich dieser Einsatzbereich noch mit anderen Einsatzbereichen? Zum Beispiel Pflege/Haushalt/Taubblindenassistenz?
Ja, wenn andere Dienste zwischendurch ausfallen, übernehme ich auch die Tätigkeiten dazwischen, hole also zum Beispiel auch einmal die Post aus dem Briefkasten. Vorrangig ist aber die Freizeitassistenz.

Können Sie einmal etwas genauer beschreiben, wie Sie Ihre Assistenznehmerin unterstützen?
Hier auf dem Weg zur Physiotherapeutin sage ich ihr zum Beispiel rechtzeitig an, wenn eine Stufe kommt,  wenn uns ein Fahrrad entgegenkommt oder ein E-Rolli mitten im Weg steht. Beim Kaffeetrinken oder Spazierengehen unterhalten wir uns einfach. Und ich bewundere dann den Wissensdurst und die Merkfähigkeit von Frau Bartkowski. Sie merkt sich jeden Namen, den ich erwähne und weiß auch Wochen später noch die passende Geschichte dazu.

Können Sie für Ihrer Assistenznehmerin etwas bestimmtes anbieten, das nur Sie können? 
Neben meinem früheren Hauptberuf habe ich acht Jahre lang ehrenamtlich in einem Seniorenheim gearbeitet und habe meine an Parkinson erkrankte Mutter unterstützt. Zudem habe ich gute Umgangsformen. Und ich bin ein feinfühliger und offener Mensch.

Welche Fortbildungen/Ausbildungen haben Sie hierfür absolviert?
Ich glaube, dass ich als Quereinsteigerin die Stelle u.a. wegen meines Ehrenamts im Seniorenheim und wegen der Unterstützung meiner an Parkinson erkrankten Mutter bekommen habe. Weitere Qualifikationen habe ich nicht. Darum wünsche ich mir noch weitere rechtliche Informationen sowie Informationen über Behinderungsformen, damit ich meine Tätigkeit besser ausüben kann und in meinen alltäglichen Situationen besser agieren kann.

Assistenz - ist es für Sie einfach nur ein Job oder eher eine Berufung?
Für mich ist es Berufung.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job besonders gut?
Dass ich mit guter Laune nach Hause komme und das viele Assistenz-Aktivitäten einen stärken, zum Beispiel ist schon eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Herausforderung.

Was gefällt Ihnen weniger gut?
Dass es so wenige Assistenten gibt und ich dann manchmal sehr spontan einspringen muss.

Arbeiten Sie ausschließlich als Assistentin für Frau Bartkowski oder noch für andere Assistenznehmer*innen?
Ich bin ausschließlich bei der Einrichtung beschäftigt, in der ich unter anderem Frau Bartkowski mit zweimal für je anderthalb Stunden pro Woche begleite. Sie lebt ja in jenen Wohnungen der Einrichtung, in denen die Menschen selbstständig leben können. Dazu betreue ich noch sechs weitere Klient*innen.

Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie für Ihre Assistenznehmer*innen?
19,5 Stunden pro Woche.

Wenn Sie es uns verraten möchten: Wie viel verdienen Sie oder – falls Sie das nicht beantworten möchten/dürfen – können Sie von Ihrem Gehalt leben?
Von der halben Stelle allein kann ich nicht leben, nein. Obwohl ich über dem Mindestlohn verdiene, arbeite ich noch mit zehn weiteren Stunden bei derselben Einrichtung im sogenannten Hintergrunddienst (HD): Aufgabe des HD ist, leichte Hilfeleistungen zu stellen. Darunter fallen regelmäßige Dinge, wie Klienten vom Fahrdienst abzuholen und den Wechsel vom elektrischen in den normalen Rollstuhl. Es ist wie betreutes Wohnen. Lieber wäre mir aber, wenn ich die Assistenz als Vollzeitstelle hätte.

Wer bezahlt Sie?
Die Einrichtung bezahlt mich.

Wie haben Sie von diesem Beruf/dieser Tätigkeit gehört?
Ich hatte vorher meinen Job aus Unzufriedenheit gekündigt und habe direkt danach beim Gassigehen jemanden getroffen, der mir von der Stelle erzählte. Ich habe mich sofort beworben und die Stelle bekommen.

Was müsste/dürfte besser laufen, damit mehr Menschen diesen Beruf ausüben können?
Die meisten Stellen werden nur als Midi-Jobs angeboten, sei es bei der Betreuung von Senioren oder bei der Assistenz von Menschen mit Behinderung. Das schreckt viele ab, da ein Midi-Job für eine Einzelperson nicht ausreichend ist, um den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Warum sollten viel mehr Menschen diesen Job machen?
Weil man die Möglichkeit hat, eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben und als Quereinsteigerin etwas Neues tun zu können. Und vor allem können Menschen mit Behinderungen mit Assistent*innen eine kontinuierliche Unterstützung bekommen, was für alle, wie ich inzwischen gemerkt habe, sehr wichtig ist.

 

Fragen an die Assistenznehmerin

Allgemeine Angaben:

Vorname: Judith
Nachname: Bartkowski
Geburtsjahr: 23.2.1991

Ausbildung/Studium: Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin
Bisherige(r) Beruf(e)/Tätigkeiten: Servicekraft am Telefon

Das Interview

Welche Behinderung haben Sie?
Ich bin von Geburt an blind.

Was finden Sie besonders gut an Ihr*er/m Assistent*in?
Ich finde an Frau Ziemes gut, dass sie sich gut in die Blindheit reinversetzen kann.

Wenn Sie jemandem den Beruf „Assistenz“ in einem Satz erklären müssten: Wie würde der lauten?
Bei Dingen, die man nicht selbst bewältigen kann, unterstützen sie.

Welche Fähigkeiten/Fertigkeiten/Kompetenzen muss eine Assistenz mitbringen? Und warum?
Einfühlungsvermögen; Feststellen können, wenn Schwierigkeiten auftauchen; Vorrausschauen und kommunizieren können.

In welchem Einsatzbereich arbeitet Ihre Assistentin für Sie? 
Frau Ziemes arbeitet für mich als Freizeitassistentin.

Mischt sich dieser Einsatzbereich noch mit anderen Einsatzbereichen? Z.B. Pflege/Haushalt/Taubblindenassistenz? Oder beschäftigen Sie hierfür weitere Assistent*innen?
(Anm. der Redaktion: Frau Bartkowski lebt in einer Einrichtung, allerdings lebt sie in dem Bereich, in dem Bewohner*innen mit Behinderungen eigenständig in ihrer Wohnung leben)
Frau Ziemers arbeitet als Freizeitassistentin an zwei Tagen zu je 1,5 Stunden für mich. Manchmal holt sie auch Post aus dem Briefkasten, was eigentlich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fällt, oder hebt etwas auf. Ich bekomme zusätzlich noch Fachleistungsstunden für Assistenz, die mir beim Einkaufen hilft. (Anm. der Redaktion: Privat engagiert Frau Bartkowski noch eine Haushaltshilfe)

Können Sie einmal etwas genauer beschreiben, wie Ihre Assistentin Sie unterstützt?
Frau Ziemes begleitet mich zur Physiotherapie, aber auch ins Kino oder zu Konzerten, wie zu Max Giesinger oder zur Kelly Family, aber auch zu Konzerten meiner Eltern, die im Chor singen.

Warum haben Sie Ihre Assistentin ausgewählt? Was kann sie/er besonders gut?
Meine Einrichtung hat sie für mich ausgewählt.
(Darauf schaltet sich Frau Ziemes ein:) Frau Ziemes: Aber sie dürfen sie ja auch ablehnen.
Frau Bartkowski: Das weiß ich.
 

Haben Sie – bevor Frau Ziemes Ihre Assistentin wurde, schonmal jemanden, der als Assistenz für Sie arbeiten wollte, abgelehnt?“
Frau Bartkowski: Das war bislang noch nicht nötig.

Welche Fortbildungen/Ausbildungen haben Ihre Assistent*innen absolviert? War das relevant für die Wahl?
Das weiß ich nicht.

Wie kam es zu Ihrem Match?
Durch die Einrichtung.

Arbeiten mehrere Assistenten*innen für Sie oder eine*r? Wenn mehrere: Wer organisiert das?
Ja, es arbeitet neben Frau Ziemes noch eine Assistentin für mich, die über sogenannte Fachleistungsstunden zum Beispiel mit mir einkaufen geht.

Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Assistent*innen für Sie?
Frau Ziemes arbeitet als Freizeitassistentin drei Stunden pro Woche für mich. Die Assistentin, die mir beim Einkaufen hilft, arbeitet vier Stunden pro Woche für mich.

Wer bezahlt Ihre Assistentin?
Die Einrichtung.

Was müsste/dürfte besser laufen, damit mehr Menschen diesen Beruf ausüben können?
Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.

Finden Sie, dass Ihre Assistenz gut genug bezahlt wird? Wenn nein: Warum nicht? Was müsste sich ändern?
Damit habe ich mich nicht auseinandergesetzt.

Sind Sie zufrieden mit dem Angebot von Assistent*innen auf dem Arbeitsmarkt? Wenn nein: Was müsste sich verbessern?
Damit habe ich mich nicht beschäftigt.

Warum sollten viel mehr Menschen als Assistent*innen arbeiten?
Damit mehr Menschen eine Hilfeleistung bekommen, die sie selbst nicht bewerkstelligen können und damit Menschen mit Handycap mehr ins Leben einbezogen werden – Stichwort Inklusion.